DAT219 Paradigmenwechsel im Datenschutzrecht (Monika Pfaffinger, Teil 2)

Transkript anzeigen

00:00:00: ♪ Musik ♪

00:00:08: Wie stehen Sie dazu zu dieser Realität?

00:00:11: Was wir häufig erleben, auch als unbeabsichtigende Folge des neuen Datenschutzgesetzes in der Schweiz,

00:00:15: sind ganz viele neue Cookie-Panner.

00:00:17: Ich habe heute Morgen den Fahrplan bei der SBB abgerufen.

00:00:20: Und dort steht natürlich, Ihre Privatsphäre ist uns wichtig.

00:00:22: Und dann steht die SBB und 111 Partner aktuell,

00:00:25: die eigentlich so ziemlich alle Daten, die sie über mich erfassen können, bei der Nutzung verarbeiten,

00:00:30: zu Geld machen, etc.

00:00:32: Ich kann dann sagen, akzeptieren oder zwecken und zeigen.

00:00:35: Also ich kann nicht einmal Nein sagen und ich kann auch nicht alles abwählen.

00:00:37: Also wie beurteilen Sie denn das? Das ist ja hochgradig Ski-Heilig.

00:00:41: Ski-Heilig ist der richtige Ausdruck.

00:00:42: Es ist eine Illusion, es ist ein Formalismus, der uns etwas suggeriert.

00:00:47: Und wenn Sie aber irgendwie hier ein Billett lösen wollen oder was immer,

00:00:51: dann möchten Sie vielleicht, ich glaube,

00:00:53: und dort sieht man die Forderung nach einem kontextuellen Ansatz, wie wichtig sie ist.

00:00:58: Sie möchten nicht, dass dann quasi eben hinten durch, dass alles verteilt wird, beliebig.

00:01:04: Und das muss quasi wirklich in Silos oder man muss genau eruieren bei der SBB,

00:01:09: an wen dürfen wir dann unter Umständen zu welchen Zwecken?

00:01:13: Zweckbindung ist ganz ein wichtiger Grundsatz,

00:01:16: in meinen Augen der effektivste vom geltenden Recht im Moment verteilt werden.

00:01:21: Und Sie als Individuum können das gar nicht bemerkenstellen.

00:01:24: Es ist sehr oft dann «take it or leave it».

00:01:27: Ja, das ist tatsächlich unbefriedigend.

00:01:29: Und Sie sind ja jetzt nicht die Einzige, die sich mit diesem Thema befasst.

00:01:32: Auch da Kritik hört, weil es ja offensichtlich ist, dass wir ein Problem haben.

00:01:35: Eine Reaktion ist die Forderung nach einem Recht auf informationellen Selbstschutz.

00:01:40: Also etwas, das sehr ähnlich klingt wie Systemschutz,

00:01:43: was jetzt auch in der Romandie zum Teil Verfassungsrang bekommen hat,

00:01:46: in gewissen Kantonen. Ich nehme an, Sie verfolgen das auch.

00:01:49: Ich verfolge diese Debatte. Ich attestiere zunächst einmal, dass es interessant ist,

00:01:54: dass obwohl es jetzt diese grossen Wählen gegeben hat,

00:01:57: mit der Europäischen Datenschutzgrundverordnung,

00:01:59: mit der Revision des DSG, weiterhin ziemlicher Druck auf dieser Pipeline gibt.

00:02:05: Was man daran sieht, ist, dass die Menschen immer noch nicht ganz glücklich sind

00:02:10: über die juristische und rechtliche Absicherung.

00:02:13: Da ist immer noch Dynamik drin und das halte ich für richtig.

00:02:16: Also quasi nach der Revision ist vor der Revision.

00:02:19: Ich habe in meiner Habille auch festgestellt,

00:02:23: dass das geltende Datenschutzrecht durch die Revisionen durchaus neue Ingredienzen bekommen hat.

00:02:28: Aber es bleibt auch ein Recht der analogen Welt,

00:02:32: das in diesen tradierten Konzepten einfach verhaftet ist.

00:02:36: Das Recht, das Sie jetzt erwähnt haben, anerkennt auch den Gedanken,

00:02:41: wir brauchen wirklich ein digitales Recht.

00:02:43: Der Datenschutz funktioniert in der digitalen Welt anders,

00:02:47: weil alles miteinander vernetzt ist.

00:02:49: Das Individuum steht da zum Teil auf einem verlorenen Posten.

00:02:53: Das ist, finde ich, auch eine interessante Feststellung.

00:02:57: Wenn man sich das Recht aber genau anschaut,

00:03:00: und das ist allgemein in dieser Debatte eine Schwierigkeit,

00:03:04: das ist wie ein Kaleidoskop,

00:03:05: jeder versucht zu definieren, was den Datenschutz schützen muss.

00:03:10: Da gibt es x Definierungen von zum Teil brillanten Köpfen,

00:03:13: die sich in der Geschichte betrachten,

00:03:16: die sich mit der Privacy usw. auseinandergesetzt haben.

00:03:20: Aber es fällt furchtbar weh, das einzufangen,

00:03:23: was den Datenschutz eigentlich schützen muss.

00:03:26: Und dieses neue Recht hat im Moment in meinen Augen trotz allem die Schwäche.

00:03:31: Es ebnet die Forderung für ein digitales Recht und einen Datenschutz im digitalen Raum.

00:03:36: Es bleibt aber, wenn man sich anschaut, was der genaue Inhalt ist,

00:03:40: weiterhin so im Persönlichkeitsschutz von ZGB 28 oder auch von Grundrecht verhaftet,

00:03:48: was am Schluss schlicht und einfach defensiver rechtliche Individualrechte sind.

00:03:53: Und diese greifen nicht genügend in dieser vernetzten Welt.

00:03:57: Die Kommerzialisierungsbegehrlichkeiten sind eine grosse Herausforderung.

00:04:02: Dass Daten kommerzialisiert werden und die Logik,

00:04:07: die in den einzelnen Gesellschaftskontexten geschützt werden sollen,

00:04:11: einfach korrumpiert werden.

00:04:14: Bei dem Ganzen fällt mir auf, die Begriffe klingen ja alle gut.

00:04:17: Also informationelle Selbstbestimmung,

00:04:19: informationeller Selbstschutz bei einem informationellen Systemschutz.

00:04:22: Das ist ja eine Sache, auch in einer Umfrage oder in einer Volksabstimmung

00:04:25: ist ein Nachhinein, dass man sagt, ja, das ist super.

00:04:27: Alle können sich auch etwas Eigenes darunter vorstellen.

00:04:29: Wenn wir uns jetzt noch einmal den Systemschutz vor allem anschauen,

00:04:32: wer sollte den Systemschutz eigentlich gewährleisten?

00:04:35: Ich frage natürlich auch, weil nach meinem Verständnis

00:04:38: traditionell ist das eine Staatsaufgabe.

00:04:40: Also wir haben ein System und für das haben wir staatliche Strukturen,

00:04:43: die versuchen zu schützen unter gewissen Bedingungen, unter gewissen Prämissen.

00:04:47: Aber was mir halt auffällt, ist, dass auch unser Eigenstaat in der Schweiz

00:04:50: hat ja häufig gerade selber Mühe mit dem Datenschutz.

00:04:52: Also ein aktuelles Thema hat die Tech-Journalistin Adrienne Fichter

00:04:55: in der «Republik» schon aufgearbeitet, die Kabelaufklärung.

00:04:58: Also eine Massüberwachung oder Geheimdienst ohne Anlass? Verdacht.

00:05:02: Haben Sie für diesen Widerspruch eine Idee oder ist es vielleicht gar kein Widerspruch?

00:05:06: Das ist eine schöne Frage.

00:05:07: Zunächst einmal muss man ja sagen, dass das wirklich betrüblich ist,

00:05:10: weil ich habe vorhin schon einmal den Dualismus erwähnt

00:05:13: vom Schweizer Datenschutzgesetz,

00:05:15: dass der Staat unter einem anderen Regime steht als die Privaten.

00:05:20: Und der Staat hat ein prinzipielles Bearbeitungsverbot

00:05:25: und es gilt eben dort vor allem das Legalitätsprinzip.

00:05:28: Also der Staat wäre eigentlich relativ strikt gebunden.

00:05:30: Er ist enger gebunden als die Privaten,

00:05:32: mit der prinzipiellen Bearbeitungsfreiheit.

00:05:34: Das heisst, und da sprechen wir eigentlich über ein Vollzugsdefizit.

00:05:39: Und das ist auch ein Grund für die Forderung,

00:05:41: für wirklich ein Neudenken und Konzeptionieren des Rechts.

00:05:46: Es gibt bis heute massive Formen von Vollzugsdefiziten.

00:05:49: Das, was in den Rechten verbürgt ist,

00:05:51: in den Rechtsanlass, wird faktisch einfach nicht umgesetzt.

00:05:55: Und ich glaube, ja, da gibt es einen Aufholbedarf.

00:05:57: Das kann nicht sein, dass da quasi

00:06:00: datenschutzrechtlich längst verbürgte Grundsätze

00:06:03: einfach nicht eingehalten werden.

00:06:05: Und das wäre natürlich mal ein erster Schritt.

00:06:07: Und ein zweiter Schritt ist dann, das ist richtig,

00:06:10: ich glaube, da braucht es wieder den Transfer

00:06:12: von wissenschaftlichen Erkenntnissen,

00:06:14: von Erkenntnissen der Praktikerinnen und Praktiker,

00:06:17: von der Gesellschaft, von der Zivilgesellschaft,

00:06:19: wo man da merkt, da kommen Störgefühle.

00:06:23: Es ist Ihnen vielleicht aufgefallen, wie oft in der Zeitung kommt so,

00:06:26: das poppt dann so richtig auf, oder?

00:06:28: Es ist den Menschen wichtig, was mit ihren Daten passiert.

00:06:31: Und gewisse Datenbearbeitungsformen lösen ein grosses Unbehagen aus,

00:06:36: oder? Und auch einen Protest.

00:06:38: Und das müssen wir ernst nehmen.

00:06:40: Das können wir als Indikator nehmen

00:06:42: für eine Weiterentwicklung des Datenschutzrechts.

00:06:45: Also ich glaube, das Datenschutzrecht muss sich weiterentwickeln.

00:06:48: Und jawohl, der Staat wird da eine trägende Rolle einnehmen,

00:06:53: oder? In den Gesetzen zu formulieren,

00:06:55: unter welchen Bedingungen dürfen Personendaten

00:06:58: in welchen Kontexten fliessen, anonymisiert,

00:07:01: wann gibt es absolute Blockaden,

00:07:04: wie sichert man das technisch ab?

00:07:06: Sind Sie optimistisch, dass wir hierher kommen?

00:07:08: Es gibt verschiedene Stimmen, Ihre Habilitation,

00:07:11: die Digitale Gesellschaft hat gerade ein neues Datenschutzkonzept veröffentlicht,

00:07:14: das zum Teil mich auch an das erinnert, was Sie schreiben.

00:07:17: Bei der informationellen Selbstbestimmung kommt man langsam zum Ergebnis,

00:07:19: ja, das klingt zwar gut, aber viel Fleisch am Knochen haben wir nicht.

00:07:22: In der Schweiz haben wir Grund zum Optimismus.

00:07:25: Der Optimismus wurde ja jetzt im Zuge des Jahreswechsels

00:07:28: relativ intensiv diskutiert, dass man sagte,

00:07:31: der Menschen ist die Hoffnung und der Optimismus verloren gegangen,

00:07:36: es sind ja anspruchsvolle Zeiten geworden.

00:07:38: Ich glaube, es ist wichtig, dran zu bleiben,

00:07:42: zu sagen, wir möchten die grundlegenden Probleme und Herausforderungen lösen,

00:07:47: und wir können das auch.

00:07:49: Die Ernsthaftigkeit, der Dialog,

00:07:51: ich glaube, der Dialog miteinander ist ganz, ganz wichtig.

00:07:53: Und ich würde meinen, der Datenschutz war so ein Mauerblümchen,

00:07:57: er hat jetzt eine Aufwertung bekommen,

00:07:59: aber ich glaube, er ist noch nicht als das anerkannt, was er ist.

00:08:02: Der Datenschutz sichert unsere Demokratie ab,

00:08:06: die Rechtsstaatlichkeit, den Sozialstaat etc.

00:08:09: Und darum löst er auch so viel Unbehagen aus,

00:08:11: wenn man das Gefühl hat, da laufen Sachen nicht gut.

00:08:13: Aber ich glaube, wir haben genügend Menschen,

00:08:18: die in der Lage sind, Lösungen zu formulieren.

00:08:21: Wir haben Wege, wie das dann auch rezipiert wird.

00:08:23: In meiner Dissertation ist genau das passiert.

00:08:26: Ich habe einen Vorschlag gemacht,

00:08:27: wie die Rechte der Parteien im Familieninformationsrecht

00:08:31: besser gestaltet werden können,

00:08:32: und das ist ins Gesetz eingeflossen worden.

00:08:34: Also auch diese Übersetzungen von einem Kontext in einen anderen Kontext,

00:08:39: das funktioniert eigentlich relativ gut.

00:08:41: Daher, glaube ich, können wir schon optimistisch sein.

00:08:44: Das finde ich gut, wenn wir damit den Optimismus enden können.

00:08:48: Ich muss noch eine letzte Frage stellen,

00:08:49: weil ich glaube, allen, die die «Habilitation» lesen,

00:08:52: fällt die Widmung am Anfang auf.

00:08:54: Ich bin nicht der Erste, der das erwähnt.

00:08:56: Dort wird Ella erwähnt,

00:08:58: die ihre Tochter drei Wünsche im Dezember 2018 hat.

00:09:01: Sie hat sich ein Pferd gewünscht,

00:09:04: das sie zaubern kann,

00:09:05: und dass ihre Mama mit ihrem Buch fertig wird.

00:09:08: Wie war das bei der Fertigstellung?

00:09:10: Ist ihre Tochter zu Recht sehr stolz auf sie?

00:09:12: Oder wie ging das aus?

00:09:14: Es freut mich sehr, dass Sie das so ansprechen.

00:09:16: Den Zettel hat Ella mit ihrer ersten krackerigen Schrift

00:09:20: in der Adventszeit zu dieser Zeit niedergeschrieben.

00:09:22: Sie hat das mitbekommen.

00:09:23: Die «Habilitation» fand ja parallel zur Erwerbstätigkeit,

00:09:27: zur Betreuungsarbeit etc. statt.

00:09:29: Das war sehr, sehr anspruchsvoll.

00:09:32: Der Zettel hat sie aus der Schule nach Hause gebracht,

00:09:34: und ich habe ihn säuberlich in Akten gelegt.

00:09:38: Dann habe ich mir bei der Publikation meines Buches,

00:09:40: und das ist auch interessant, überlegt,

00:09:42: ob ich das publizieren soll oder nicht.

00:09:44: Ist das zu privat, zu intim oder nicht?

00:09:47: Ich habe mich entschieden, das zu machen,

00:09:48: weil ich glaube, es ist auch eine wichtige Frage,

00:09:50: wer jemand ist.

00:09:52: Wir sind keine Einheitssubjekte,

00:09:55: wir sind Menschen mit diversen, verschiedenen Rollen.

00:09:58: Ich glaube, dass sich Ella durchaus freut.

00:10:00: Vielleicht will sie Anwältin werden,

00:10:02: vielleicht wird sie sich irgendwann mit meinem Buch befassen.

00:10:05: Aber ich habe ihr einen Wunsch erfüllt,

00:10:07: und das macht mich natürlich glücklich.

00:10:09: Ja, super.

00:10:10: Diese Widmung ist wie ein Denkastoss für sie,

00:10:13: unabhängig vom Buch.

00:10:15: Gerade wenn man mit Kindern, wie kleinen Kindern,

00:10:16: zu tun hat, weiss man auch als Erwachsener,

00:10:18: die nehmen die Welt wirklich anders wahr.

00:10:20: Das sieht man auch aus gewissen äusserlichen Fragen,

00:10:22: gerade auch über unsere Berufstätigkeit.

00:10:24: Oder auch wenn man rechttätig ist,

00:10:26: das ist ja sehr abstrakt,

00:10:28: nicht immer einfach zu vermitteln.

00:10:29: Ja, machen wir da Schluss.

00:10:31: Vielen Dank für die Erklärungen,

00:10:33: vielen Dank für die Zeit.

00:10:34: Wie gesagt, wird in der Show-Notes verlinkt.

00:10:36: Man kann die Habilitation wirklich

00:10:37: Open Access herunterladen,

00:10:38: gibt es aber natürlich auch gedruckt im Buchhandel.

00:10:40: Wer das will, nochmals den Verweis

00:10:42: auch auf die wirklich sehr informative Website.

00:10:44: Ich empfehle nur, dort drauf zu gehen,

00:10:45: wenn man Zeit hat,

00:10:46: weil es hat unendlich viele Links,

00:10:48: wo man dann auf Interviews stösst

00:10:49: und Projekte und Publikationen.

00:10:51: Also alles sehr gut.

00:10:52: Ja, vielen Dank und weiterhin alles Gute.

00:10:54: ♪ Musik ♪

Neuer Kommentar

Dein Name oder Pseudonym (wird öffentlich angezeigt)
Mindestens 10 Zeichen
Durch das Abschicken des Formulars stimmst du zu, dass der Wert unter "Name oder Pseudonym" gespeichert wird und öffentlich angezeigt werden kann. Wir speichern keine IP-Adressen oder andere personenbezogene Daten. Die Nutzung deines echten Namens ist freiwillig.