DAT219 Paradigmenwechsel im Datenschutzrecht (Monika Pfaffinger, Teil 2)
Shownotes
Weblinks:
- Website von Monika Pfaffinger mit vielen Informationen
- Profil von Monika Pfaffinger (LinkedIn)
- Monika Pfaffinger: Das Recht auf informationellen Systemschutz – Plädoyer für einen Paradigmenwechsel im Datenschutzrecht (Nomos eLibrary)
- Neues Datenschutzgesetz: Keine Cookie-Banner in der Schweiz (Steiger Legal)
- DAT088 Cookie-Banner und das neue Datenschutzgesetz (Datenschutz Plaudereien)
- Recht auf «digitale Integrität» soll Schweizer Grundrecht werden (Inside IT)
- Genf verankert digitale Unversehrtheit in der Kantonsverfassung (Netzwoche)
- Digitale Integrität: Kantone gehen in die Offensive (Neue Zürcher Zeitung, NZZ)
- Der Bund überwacht uns alle (Republik)
Über die Datenschutz Plaudereien
Rechtsanwalt Martin Steiger und Andreas Von Gunten, Co-Gründer von Datenschutzpartner, plaudern über Aktuelles, Bemerkenswertes und Persönliches rund um den Datenschutz.
Impressum: https://www.datenschutzpartner.ch/impressum/
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00:00:00: ♪ Musik ♪
00:00:08: Wie stehen Sie dazu zu dieser Realität?
00:00:11: Was wir häufig erleben, auch als unbeabsichtigende Folge des neuen Datenschutzgesetzes in der Schweiz,
00:00:15: sind ganz viele neue Cookie-Panner.
00:00:17: Ich habe heute Morgen den Fahrplan bei der SBB abgerufen.
00:00:20: Und dort steht natürlich, Ihre Privatsphäre ist uns wichtig.
00:00:22: Und dann steht die SBB und 111 Partner aktuell,
00:00:25: die eigentlich so ziemlich alle Daten, die sie über mich erfassen können, bei der Nutzung verarbeiten,
00:00:30: zu Geld machen, etc.
00:00:32: Ich kann dann sagen, akzeptieren oder zwecken und zeigen.
00:00:35: Also ich kann nicht einmal Nein sagen und ich kann auch nicht alles abwählen.
00:00:37: Also wie beurteilen Sie denn das? Das ist ja hochgradig Ski-Heilig.
00:00:41: Ski-Heilig ist der richtige Ausdruck.
00:00:42: Es ist eine Illusion, es ist ein Formalismus, der uns etwas suggeriert.
00:00:47: Und wenn Sie aber irgendwie hier ein Billett lösen wollen oder was immer,
00:00:51: dann möchten Sie vielleicht, ich glaube,
00:00:53: und dort sieht man die Forderung nach einem kontextuellen Ansatz, wie wichtig sie ist.
00:00:58: Sie möchten nicht, dass dann quasi eben hinten durch, dass alles verteilt wird, beliebig.
00:01:04: Und das muss quasi wirklich in Silos oder man muss genau eruieren bei der SBB,
00:01:09: an wen dürfen wir dann unter Umständen zu welchen Zwecken?
00:01:13: Zweckbindung ist ganz ein wichtiger Grundsatz,
00:01:16: in meinen Augen der effektivste vom geltenden Recht im Moment verteilt werden.
00:01:21: Und Sie als Individuum können das gar nicht bemerkenstellen.
00:01:24: Es ist sehr oft dann «take it or leave it».
00:01:27: Ja, das ist tatsächlich unbefriedigend.
00:01:29: Und Sie sind ja jetzt nicht die Einzige, die sich mit diesem Thema befasst.
00:01:32: Auch da Kritik hört, weil es ja offensichtlich ist, dass wir ein Problem haben.
00:01:35: Eine Reaktion ist die Forderung nach einem Recht auf informationellen Selbstschutz.
00:01:40: Also etwas, das sehr ähnlich klingt wie Systemschutz,
00:01:43: was jetzt auch in der Romandie zum Teil Verfassungsrang bekommen hat,
00:01:46: in gewissen Kantonen. Ich nehme an, Sie verfolgen das auch.
00:01:49: Ich verfolge diese Debatte. Ich attestiere zunächst einmal, dass es interessant ist,
00:01:54: dass obwohl es jetzt diese grossen Wählen gegeben hat,
00:01:57: mit der Europäischen Datenschutzgrundverordnung,
00:01:59: mit der Revision des DSG, weiterhin ziemlicher Druck auf dieser Pipeline gibt.
00:02:05: Was man daran sieht, ist, dass die Menschen immer noch nicht ganz glücklich sind
00:02:10: über die juristische und rechtliche Absicherung.
00:02:13: Da ist immer noch Dynamik drin und das halte ich für richtig.
00:02:16: Also quasi nach der Revision ist vor der Revision.
00:02:19: Ich habe in meiner Habille auch festgestellt,
00:02:23: dass das geltende Datenschutzrecht durch die Revisionen durchaus neue Ingredienzen bekommen hat.
00:02:28: Aber es bleibt auch ein Recht der analogen Welt,
00:02:32: das in diesen tradierten Konzepten einfach verhaftet ist.
00:02:36: Das Recht, das Sie jetzt erwähnt haben, anerkennt auch den Gedanken,
00:02:41: wir brauchen wirklich ein digitales Recht.
00:02:43: Der Datenschutz funktioniert in der digitalen Welt anders,
00:02:47: weil alles miteinander vernetzt ist.
00:02:49: Das Individuum steht da zum Teil auf einem verlorenen Posten.
00:02:53: Das ist, finde ich, auch eine interessante Feststellung.
00:02:57: Wenn man sich das Recht aber genau anschaut,
00:03:00: und das ist allgemein in dieser Debatte eine Schwierigkeit,
00:03:04: das ist wie ein Kaleidoskop,
00:03:05: jeder versucht zu definieren, was den Datenschutz schützen muss.
00:03:10: Da gibt es x Definierungen von zum Teil brillanten Köpfen,
00:03:13: die sich in der Geschichte betrachten,
00:03:16: die sich mit der Privacy usw. auseinandergesetzt haben.
00:03:20: Aber es fällt furchtbar weh, das einzufangen,
00:03:23: was den Datenschutz eigentlich schützen muss.
00:03:26: Und dieses neue Recht hat im Moment in meinen Augen trotz allem die Schwäche.
00:03:31: Es ebnet die Forderung für ein digitales Recht und einen Datenschutz im digitalen Raum.
00:03:36: Es bleibt aber, wenn man sich anschaut, was der genaue Inhalt ist,
00:03:40: weiterhin so im Persönlichkeitsschutz von ZGB 28 oder auch von Grundrecht verhaftet,
00:03:48: was am Schluss schlicht und einfach defensiver rechtliche Individualrechte sind.
00:03:53: Und diese greifen nicht genügend in dieser vernetzten Welt.
00:03:57: Die Kommerzialisierungsbegehrlichkeiten sind eine grosse Herausforderung.
00:04:02: Dass Daten kommerzialisiert werden und die Logik,
00:04:07: die in den einzelnen Gesellschaftskontexten geschützt werden sollen,
00:04:11: einfach korrumpiert werden.
00:04:14: Bei dem Ganzen fällt mir auf, die Begriffe klingen ja alle gut.
00:04:17: Also informationelle Selbstbestimmung,
00:04:19: informationeller Selbstschutz bei einem informationellen Systemschutz.
00:04:22: Das ist ja eine Sache, auch in einer Umfrage oder in einer Volksabstimmung
00:04:25: ist ein Nachhinein, dass man sagt, ja, das ist super.
00:04:27: Alle können sich auch etwas Eigenes darunter vorstellen.
00:04:29: Wenn wir uns jetzt noch einmal den Systemschutz vor allem anschauen,
00:04:32: wer sollte den Systemschutz eigentlich gewährleisten?
00:04:35: Ich frage natürlich auch, weil nach meinem Verständnis
00:04:38: traditionell ist das eine Staatsaufgabe.
00:04:40: Also wir haben ein System und für das haben wir staatliche Strukturen,
00:04:43: die versuchen zu schützen unter gewissen Bedingungen, unter gewissen Prämissen.
00:04:47: Aber was mir halt auffällt, ist, dass auch unser Eigenstaat in der Schweiz
00:04:50: hat ja häufig gerade selber Mühe mit dem Datenschutz.
00:04:52: Also ein aktuelles Thema hat die Tech-Journalistin Adrienne Fichter
00:04:55: in der «Republik» schon aufgearbeitet, die Kabelaufklärung.
00:04:58: Also eine Massüberwachung oder Geheimdienst ohne Anlass? Verdacht.
00:05:02: Haben Sie für diesen Widerspruch eine Idee oder ist es vielleicht gar kein Widerspruch?
00:05:06: Das ist eine schöne Frage.
00:05:07: Zunächst einmal muss man ja sagen, dass das wirklich betrüblich ist,
00:05:10: weil ich habe vorhin schon einmal den Dualismus erwähnt
00:05:13: vom Schweizer Datenschutzgesetz,
00:05:15: dass der Staat unter einem anderen Regime steht als die Privaten.
00:05:20: Und der Staat hat ein prinzipielles Bearbeitungsverbot
00:05:25: und es gilt eben dort vor allem das Legalitätsprinzip.
00:05:28: Also der Staat wäre eigentlich relativ strikt gebunden.
00:05:30: Er ist enger gebunden als die Privaten,
00:05:32: mit der prinzipiellen Bearbeitungsfreiheit.
00:05:34: Das heisst, und da sprechen wir eigentlich über ein Vollzugsdefizit.
00:05:39: Und das ist auch ein Grund für die Forderung,
00:05:41: für wirklich ein Neudenken und Konzeptionieren des Rechts.
00:05:46: Es gibt bis heute massive Formen von Vollzugsdefiziten.
00:05:49: Das, was in den Rechten verbürgt ist,
00:05:51: in den Rechtsanlass, wird faktisch einfach nicht umgesetzt.
00:05:55: Und ich glaube, ja, da gibt es einen Aufholbedarf.
00:05:57: Das kann nicht sein, dass da quasi
00:06:00: datenschutzrechtlich längst verbürgte Grundsätze
00:06:03: einfach nicht eingehalten werden.
00:06:05: Und das wäre natürlich mal ein erster Schritt.
00:06:07: Und ein zweiter Schritt ist dann, das ist richtig,
00:06:10: ich glaube, da braucht es wieder den Transfer
00:06:12: von wissenschaftlichen Erkenntnissen,
00:06:14: von Erkenntnissen der Praktikerinnen und Praktiker,
00:06:17: von der Gesellschaft, von der Zivilgesellschaft,
00:06:19: wo man da merkt, da kommen Störgefühle.
00:06:23: Es ist Ihnen vielleicht aufgefallen, wie oft in der Zeitung kommt so,
00:06:26: das poppt dann so richtig auf, oder?
00:06:28: Es ist den Menschen wichtig, was mit ihren Daten passiert.
00:06:31: Und gewisse Datenbearbeitungsformen lösen ein grosses Unbehagen aus,
00:06:36: oder? Und auch einen Protest.
00:06:38: Und das müssen wir ernst nehmen.
00:06:40: Das können wir als Indikator nehmen
00:06:42: für eine Weiterentwicklung des Datenschutzrechts.
00:06:45: Also ich glaube, das Datenschutzrecht muss sich weiterentwickeln.
00:06:48: Und jawohl, der Staat wird da eine trägende Rolle einnehmen,
00:06:53: oder? In den Gesetzen zu formulieren,
00:06:55: unter welchen Bedingungen dürfen Personendaten
00:06:58: in welchen Kontexten fliessen, anonymisiert,
00:07:01: wann gibt es absolute Blockaden,
00:07:04: wie sichert man das technisch ab?
00:07:06: Sind Sie optimistisch, dass wir hierher kommen?
00:07:08: Es gibt verschiedene Stimmen, Ihre Habilitation,
00:07:11: die Digitale Gesellschaft hat gerade ein neues Datenschutzkonzept veröffentlicht,
00:07:14: das zum Teil mich auch an das erinnert, was Sie schreiben.
00:07:17: Bei der informationellen Selbstbestimmung kommt man langsam zum Ergebnis,
00:07:19: ja, das klingt zwar gut, aber viel Fleisch am Knochen haben wir nicht.
00:07:22: In der Schweiz haben wir Grund zum Optimismus.
00:07:25: Der Optimismus wurde ja jetzt im Zuge des Jahreswechsels
00:07:28: relativ intensiv diskutiert, dass man sagte,
00:07:31: der Menschen ist die Hoffnung und der Optimismus verloren gegangen,
00:07:36: es sind ja anspruchsvolle Zeiten geworden.
00:07:38: Ich glaube, es ist wichtig, dran zu bleiben,
00:07:42: zu sagen, wir möchten die grundlegenden Probleme und Herausforderungen lösen,
00:07:47: und wir können das auch.
00:07:49: Die Ernsthaftigkeit, der Dialog,
00:07:51: ich glaube, der Dialog miteinander ist ganz, ganz wichtig.
00:07:53: Und ich würde meinen, der Datenschutz war so ein Mauerblümchen,
00:07:57: er hat jetzt eine Aufwertung bekommen,
00:07:59: aber ich glaube, er ist noch nicht als das anerkannt, was er ist.
00:08:02: Der Datenschutz sichert unsere Demokratie ab,
00:08:06: die Rechtsstaatlichkeit, den Sozialstaat etc.
00:08:09: Und darum löst er auch so viel Unbehagen aus,
00:08:11: wenn man das Gefühl hat, da laufen Sachen nicht gut.
00:08:13: Aber ich glaube, wir haben genügend Menschen,
00:08:18: die in der Lage sind, Lösungen zu formulieren.
00:08:21: Wir haben Wege, wie das dann auch rezipiert wird.
00:08:23: In meiner Dissertation ist genau das passiert.
00:08:26: Ich habe einen Vorschlag gemacht,
00:08:27: wie die Rechte der Parteien im Familieninformationsrecht
00:08:31: besser gestaltet werden können,
00:08:32: und das ist ins Gesetz eingeflossen worden.
00:08:34: Also auch diese Übersetzungen von einem Kontext in einen anderen Kontext,
00:08:39: das funktioniert eigentlich relativ gut.
00:08:41: Daher, glaube ich, können wir schon optimistisch sein.
00:08:44: Das finde ich gut, wenn wir damit den Optimismus enden können.
00:08:48: Ich muss noch eine letzte Frage stellen,
00:08:49: weil ich glaube, allen, die die «Habilitation» lesen,
00:08:52: fällt die Widmung am Anfang auf.
00:08:54: Ich bin nicht der Erste, der das erwähnt.
00:08:56: Dort wird Ella erwähnt,
00:08:58: die ihre Tochter drei Wünsche im Dezember 2018 hat.
00:09:01: Sie hat sich ein Pferd gewünscht,
00:09:04: das sie zaubern kann,
00:09:05: und dass ihre Mama mit ihrem Buch fertig wird.
00:09:08: Wie war das bei der Fertigstellung?
00:09:10: Ist ihre Tochter zu Recht sehr stolz auf sie?
00:09:12: Oder wie ging das aus?
00:09:14: Es freut mich sehr, dass Sie das so ansprechen.
00:09:16: Den Zettel hat Ella mit ihrer ersten krackerigen Schrift
00:09:20: in der Adventszeit zu dieser Zeit niedergeschrieben.
00:09:22: Sie hat das mitbekommen.
00:09:23: Die «Habilitation» fand ja parallel zur Erwerbstätigkeit,
00:09:27: zur Betreuungsarbeit etc. statt.
00:09:29: Das war sehr, sehr anspruchsvoll.
00:09:32: Der Zettel hat sie aus der Schule nach Hause gebracht,
00:09:34: und ich habe ihn säuberlich in Akten gelegt.
00:09:38: Dann habe ich mir bei der Publikation meines Buches,
00:09:40: und das ist auch interessant, überlegt,
00:09:42: ob ich das publizieren soll oder nicht.
00:09:44: Ist das zu privat, zu intim oder nicht?
00:09:47: Ich habe mich entschieden, das zu machen,
00:09:48: weil ich glaube, es ist auch eine wichtige Frage,
00:09:50: wer jemand ist.
00:09:52: Wir sind keine Einheitssubjekte,
00:09:55: wir sind Menschen mit diversen, verschiedenen Rollen.
00:09:58: Ich glaube, dass sich Ella durchaus freut.
00:10:00: Vielleicht will sie Anwältin werden,
00:10:02: vielleicht wird sie sich irgendwann mit meinem Buch befassen.
00:10:05: Aber ich habe ihr einen Wunsch erfüllt,
00:10:07: und das macht mich natürlich glücklich.
00:10:09: Ja, super.
00:10:10: Diese Widmung ist wie ein Denkastoss für sie,
00:10:13: unabhängig vom Buch.
00:10:15: Gerade wenn man mit Kindern, wie kleinen Kindern,
00:10:16: zu tun hat, weiss man auch als Erwachsener,
00:10:18: die nehmen die Welt wirklich anders wahr.
00:10:20: Das sieht man auch aus gewissen äusserlichen Fragen,
00:10:22: gerade auch über unsere Berufstätigkeit.
00:10:24: Oder auch wenn man rechttätig ist,
00:10:26: das ist ja sehr abstrakt,
00:10:28: nicht immer einfach zu vermitteln.
00:10:29: Ja, machen wir da Schluss.
00:10:31: Vielen Dank für die Erklärungen,
00:10:33: vielen Dank für die Zeit.
00:10:34: Wie gesagt, wird in der Show-Notes verlinkt.
00:10:36: Man kann die Habilitation wirklich
00:10:37: Open Access herunterladen,
00:10:38: gibt es aber natürlich auch gedruckt im Buchhandel.
00:10:40: Wer das will, nochmals den Verweis
00:10:42: auch auf die wirklich sehr informative Website.
00:10:44: Ich empfehle nur, dort drauf zu gehen,
00:10:45: wenn man Zeit hat,
00:10:46: weil es hat unendlich viele Links,
00:10:48: wo man dann auf Interviews stösst
00:10:49: und Projekte und Publikationen.
00:10:51: Also alles sehr gut.
00:10:52: Ja, vielen Dank und weiterhin alles Gute.
00:10:54: ♪ Musik ♪
Marc Fischer
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